Der Setzer ist ein Gärtner

und Typographie ist Interpretation.

Der Gärtner setzt Gehölze, Stauden und Sommerblumen an bestimmte Stellen im Gelände, er weist ihnen ihren Platz zu, auf dass sie im Lauf des Jahres ihre Wirkung entfalten können. Er lässt einen strengen Garten entstehen mit geraden Fluchten, oder einen romantischen mit verwunschenen Ecken. Er schafft eine funktionale Fläche, die sich jäten lässt und Obst und Gemüse produziert, oder lässt einen Lebensraum sich entwickeln, in dem möglichst Viele sich einrichten, ihre Nische und ihr Auskommen finden. Aus einer Idee gestaltet der Gärtner ein Ganzes, einen Kontext, den es zuvor nicht gab, der mehr ist als die Summe seiner Teile.

Rezept in „Fernöstliches Schmausbuch“

Die Arbeit des Schriftsetzers ist der des Gärtners im Grunde sehr ähnlich. Bei meinem Einstieg in Bleisatz und Buchdruck begegnete ich gleich zu Anfang dem „Setzerlehrbuch“ von Josef Käufer. Es ist ein Bändchen aus den 1950-er Jahren. Käufer beschreibt die Typographie als die Kunst der Anordnung gegossener Einzellettern zum Schriftsatz.

Er schreibt dazu:
„Schrift setzen heißt … der Schrift als Erscheinung Rang und Platz zuzuweisen, sie größer oder kleiner, gewichtiger oder leichter zu wählen, sie zu isolieren oder in Gruppen zu binden, überhaupt alle Maßnahmen zu treffen, die aus der geringeren Ordnung des Manuskriptes zur Lesbarkeit des Gedruckten führen.“

Für die Arbeit des Schriftsetzers hatte die gute Lesbarkeit lange oberste Priorität. Das beschränkte sich nicht auf klare Buchstabenformen und sauberen Druck. Dazu gehörte eine Typographie, die durch Gestaltung Betonungen schuf und Innehalten im Lesen möglich machte, die dem reinen Text Takt und Melodie verlieh, die dem Tempo der Geschichte an jeder Stelle gewachsen war, die den Leser durch den Text begleitete, ihm an schwierigen Stellen die Hand reichte und ihn in einfachem Terrain Atem schöpfen ließ. Hier wird Typographie zu Interpretation, sie macht die inhaltliche Struktur des Textes sichtbar.

Die Kunst freilich kann die typographische Interpretation noch weiter führen, so dass die Lesbarkeit zunächst erschwert wird, genau dadurch aber ein wahres Lesen erzwungen wird. Auch hier nimmt die Typographie den Leser bei der Hand und führt ihn. Nur jetzt verlangt sie von ihm, dass er genau hinschaut, vielleicht sogar noch einmal hinschaut. Dass er wirklich liest, nicht glaubt schon beim bloßen Anblick bereits zu wissen, was da steht. Auf dieser Basis wird 2014 das Künstlerbuch „Meine Worte fallen wie Steine“ entstehen. Gedruckt auf sehr alter Strohpappe.

Zum Lesen

Josef Käufer „Das Setzerlehrbuch – Die Grundlagen des Schriftsatzes und seiner Gestaltung“ Otto Blersch Verlag, 1956, Stuttgart.

Walter Mehnert „Die Gehilfenprüfung als Schriftsetzer – praktisches Arbeiten, Fachkunde in Fragen und Antworten, Fachrechnen in Aufgaben und Lösungen“ Otto Blersch Verlag, 1961, Stuttgart.

Leo Davidshofer, Walter Zerbe „Satztechnik und Gestaltung“ Schweizerisches Fach- und Lehrbuch für Schriftsetzer, 2. Aufl. 1952, Hg. Bildungsverband Schweizerischer Buchdrucker, Bern.

Essay „Mit Kopfrechnen zum Textblock: Handsatz aus Bleischriften

Mehr Bücher zum Thema, auch auf Englisch, auf: bleiklötzle

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Zubehör und Material über Drucken und Lernen

Das Werkzeug für den Handsatz: Zeilenmaß, Winkelhaken, Pinzette, Ahle, Fadenzähler – alles auf einem Setzschiff

Wird fortgesetzt – nächste Folge am 3. April 2024

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