Das Atelier im Jahr 1999

Das 20. Jahrhundert hat seine Zielgerade erreicht und nähert sich seinem Ende. Entwickelt wurde der Buchdruck mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert – von Johannes Gutenberg. In den 1970-er Jahren hat die altgediente Technik rasch an Bedeutung verloren. Es gab schnellere Verfahren, für die weniger Platz und weniger Personal nötig waren.

Im Buchdruck muss jede Schrift mit einer ausreichenden Menge von Lettern im Bestand der Druckerei oder Setzerei gehalten werden – jederzeit verfügbar. Und das jeweils in verschiedenen Größen und Varianten wie kursiv oder halbfett. Dazu wird genügend Blindmaterial gebraucht. Das ist das Material, das die Abstände zwischen Wörtern, Zeilen und Absätzen herstellt. Und es werden Stege gebraucht, um den gesetzten Text in der Druckpresse fixieren, schließen zu können.

Stege für den Buchdruck

Für meinen ersten Druck, die Neujahrskarte, habe ich mir dafür Stege aus Holzlatten zusägen müssen. Schnell ist klar: ich brauche mehr Material, vor allem Blindmaterial und große Stege. Und mehr Schriften wären auch nicht schlecht. So kommen als Serifenbetonte die Memphis, als Schreibschrift die Arkona und als Extra die Lucian ins Haus. Man kann die Schriftkästen stapeln, aber so ist schlecht damit zu arbeiten. Ich brauche ein Setzregal, oder vielleicht auch zwei?

Eigentlich ist dafür kein Platz, aber mit etwas umräumen müsste das hinzukriegen sein.

Noch gibt es den Letternservice Ingolstadt. Das ist die Verkaufsabteilung der Schriftgießerei Wagner. Im Zuge der Auflösung des Betriebes können noch gussfrische Schriften für den Bestand des Ateliers erworben werden: Hiero Rhode, Garamond, Post-Fraktur und Kabinettfraktur, sowie ein gebrauchtes, aber gut erhaltenes Schrägpultregal mit leeren Kästen – in das die nagelneuen, noch ausgebundenen Schriften eingelegt und die anderen umgesetzt werden.

Krause Pappschere mit Holztisch, vermutlich Jahrgang 1912/13

Aus den Beständen eines Fotostudios sind Schriften und Gerätschaften für den Buchdruck abzugeben. Alles lagert in einem ehemaligen landwirtschaftlichen Schuppen draußen vor der Stadt an einem Feldweg. Der verstorbene Fotograf hatte einen eigenen Verlag mit einem speziellen Sortiment von Postkarten, bei denen er die Rückseiten selbst bedruckte auf einem Heidelberger Tiegel. Es waren entweder Ansichtskarten von Ausflugszielen oder Autogrammkarten von Schlagerstars der 1950-er. Die Texte, die auf die Rückseiten gedruckt waren, hatte er als Stehsatz aufgehoben. Da er das Setzerhandwerk nie gelernt hatte, konnte er die Textkolumnen nicht ausbinden.

Textblock aus Bleilettern vorschriftsmäßig ausgebunden mit Kolumnenschnur

Er behalf sich, mit dem, was ein Fotograf zur Hand hat: Klebeband, das er zur Sicherheit auch an der Unterseite des Stehsatzes verklebte. Der Klebstoff alterte über viele Jahre an den Regletten und Lettern. Mit der Zeit wurden die Lettern im Schriftkasten knapp, und er hat bei der Gießerei nachbestellt. Allmählich haben sich so im Schriftkasten Lettern mit vier verschiedenen Signaturen vermischt. Auch nach sorgsamem Sortieren ergab sich für keine davon ein vollständiger Schriftsatz. Die Lettern aus dem Stehsatz waren stark abgenutzt – das meiste der Schrift musste zur Metallverwertung. In den Bestand gekommen sind die Versalschriften Savoy und Florida. Ein außergewöhnliches Setzregal aus seinem Bestand hatte auch ein außergewöhnliches Schicksal. Der Fotograf war Raucher und auf dem Boden des Schrägpultes finden sich die deutlichen Spuren einer heftigen Explosion. Der Fotograf war Raucher und auf dem Boden des Schrägpultes finden sich die deutlichen Spuren einer heftigen Explosion. Unter den Gerätschaften befand sich auch ein Riller, der allerdings erst wieder instand gesetzt werden musste. Nur wenige Wochen nachdem wir die Gerätschaften aus dem Schuppen abgeholt haben, wurde dieser von Orkan Lothar abgedeckt. Ein paar Jahre später wird Sturm Jeanett uns deutlich näher kommen beim Abholen von Schriften.

Beim Drucken stellt sich heraus: den Auftragswalzen würde ein neuer Bezug gut tun, dafür fehlen aber derzeit die Mittel (und das wird bis 2006 so bleiben). Deshalb müssen die Druckformen mit Handwalzen eingefärbt werden. Für Holz- und Linolschnitte ist das ein prima Verfahren. Bei der Arbeit mit Lettern gibt es aber Einschränkungen. Ist die Schrift kleiner als 16 Punkt ist das Einfärben mit der Handwalze knifflig. Schnell ist zu viel Druckfarbe aufgebracht und die Punzen in den Lettern füllen sich. Mit den Jahren und der Übung wächst das Gefühl für die passende Farbmenge. Aber der Einsatz von kleinen Schriftgraden wie 12 oder 10 Punkt bleibt eine Herausforderung.
Nevertheless, all work printed up to 2006 has been inked using hand rollers.

Handwalzen, vorbereitet für das Einfärben der Druckform

Das Atelier erhält dieses Jahre seinen Namen und ein Signet. Das Atelier heißt bleiklötzle, vorzugsweise gesetzt aus der Genzsch Antiqua. Begleitet wird der Name von einem lachenden Drachen. Das Motiv ist in eine Astscheibe geschnitten und ursprünglich im Handabrieb gedruckt. Später werden noch weiter Versionen entstehen, die in der Presse gedruckt werden können.

Was sonst noch geschah:

Fortbildung „Historische und Besondere Hefttechniken“ am Buchbinder-Colleg in Bad-Cannstatt: bei Buchbindemeisterin Anke Metz

Der Dicke kommt ins Team: ein gebrauchter Ford Transit mit Heckantrieb.

Ein Stapeltrockner wird angeschafft.

Eine Pappschere wird angeschafft: sie ist Jahrgang 1912/13 und hat einen Holztisch.

A paper cutter becomes member of the team.

Zum Lesen

Georg Kandler: Alphabete – Erinnerungen an den Bleisatz. 1995, Minner-Verlag, Kornwestheim.

Wird fortgesetzt – nächste Folge am 21. März 2024

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