Das Atelier im Jahr 2002
Das Schriftgießen bei Heiner Buser in Nördlingen geht auch dieses Jahr weiter. Daneben können auch weitere gebrauchte Schriften angeschafft werden, darunter die Reporter, eine Pinselschrift, die Amati und mehr von der Mistral. Sie ist eine außergewöhnliche Schreibschrift. Die Lettern, vor allem der Kleinbuchstaben, sind auf dem Kegel sehr schwer zu erkennen. Für den Schriftsetzer stehen beim Handsatz die Lettern nicht nur spiegelverkehrt sondern auch auf dem Kopf. Er setzt Letter für Letter in den auf die jeweilige Zeilenlänge eingestellten Winkelhaken. Um dem Setzer die Arbeit mit der Mistral etwas leichter zu machen, tragen die Lettern der Kleinbuchstaben einen „Spickzettel“: auf der tieferliegenden Schulter der Letter ist der entsprechende Druckbuchstabe zu sehen.
Ende Oktober holen wir die reservierten Schriften ab, die bei Peter Vöge in Oldenburg für uns bereitliegen. Am Sonntag wollen wir zurückfahren, es ist der 27. Oktober, und das Orkantief Jeanett hat Nordwestdeutschland bereits am Vormittag erreicht – es wird von Westen nach Osten über Europa ziehen. Auf der Rückfahrt von Oldenburg nach Süden schiebt uns der Orkan vor sich her, Pausen halten wir so kurz es nur geht. Mit ein paar Dutzend Schriftkästen als Ladung hat der alte Transit zwar eine gute Straßenlage, auf den hessischen Talbrücken der A7 ist der „fahrbare Kleiderschrank“ – wie ein Kollege das Modell liebevoll nannte – aber auch ein verdammt guter Böen-Fänger.
Wir schaffen es mit einer halben Stunde Vorsprung vor dem Orkan zuhause zu sein, einer geht noch schnell mit dem Hund, der andere verrammelt die Bude. In Europa werden bei diesem Unwetter 47 Menschen sterben, die Schäden werden auf über 1 Milliarde Euro geschätzt. Wir sind heil geblieben und die Schriften auch.
Mittlerweile sind schon etliche Schriften im Bestand des Ateliers. Alte Hasen aus dem Gewerk bemerken, es sei nun an der Zeit für ein Schriftmusterbuch. Es war einst die Grundlage, auf der Kunden einer Druckerei oder Setzerei Schriften auswählen konnten für Drucksachen wie Geschäftsausstattungen oder Anzeigen. Und so entsteht die Idee zum zweiten Künstlerbuch. Das „Fernöstliche Schmausbuch“ ist eine typographisch-philosophische Rezeptesammlung. Verwendet sind möglichst viele Schriften, die aktuell im Bestand des Ateliers sind. Ein klassisches Schriftmusterbuch zeigte jede Schrift als Alphabet mit allen Ziffern und Zeichen und dazu einen kleinen Text gesetzt aus dieser Schrift. Das Schmausbuch präsentiert die verschiedenen Schriften in der Anwendung als Texte in Form von Rezepten und philosophischen Weisheiten. Die Rezepte und die Mehrzahl der Aphorismen sind fernöstlich, salopp gesagt eine Mischung aus Curry und Konfuzius. Gedruckt wird daher auf einem Papier in den Farben von Ingwer und Zimt, es ist ein 90g leichtes Ingres-Bütten mit Wasserzeichen aus der Papierfabrik Zerkall. Knapp 20 Jahre später, im Juli 2021, wird das verheerende Hochwasser im Ahrtal die Papierfabrik schwer treffen. Die Produktion von Büttenpapier wird erst einmal eingestellt.
Als Einbandmaterial werden Stoffe ausgewählt mit Bezug zum Thema: einer mit einem Muster aus Gewürzfarben, einer mit dem Dessin einer bestickten Elefantendecke, und einer mit einem Pfauenmuster – die Vögel sind im fernen Osten heimisch.
Was sonst noch geschah:
Teilnahme am 4. Buchmachermarkt in Mosbach
Im Jahr 2002 werden publiziert:
„Auf dem Heimweg“ Holzschnitt
„Frau in Schwarz“ Holzschnitt
„Herbst im Ries“ Farbholzschnitt von 2 Platten
„Reineke“ Farbholzschnitt von 3 Platten
„Zu zweit“ Farbholzschnitt von 2 Platten
„Zauberperle“, Einblattdruck, Holzmaserung im Handabrieb, Bleisatz
Psalm 23, Bleisatz, Untermalung mit Erdpigmenten
„Fernöstliches Schmausbuch“, Künstlerbuch (vergriffen)
„God Moves On The Water“ – Zusammenarbeit mit Acoustic Blues Duo
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Wird fortgesetzt – nächste Folge am 30. März 2024
