Das Atelier im Jahr 2010

Das Jahr steht im Zeichen des Künstlerbuches „Mir fehlt ein Wort“ – einer Hommage an Kurt Tucholsky 75 Jahre nach seinem Tod. Er war ein scharfer Beobachter, und bleibt ein Zeitzeuge aus den Anfangsjahren des Nationalsozialismus, einer Macht, die letztlich Europa und die ganze Welt in einen grausamen Krieg gerissen hat. Der promovierte Jurist Tucholsky konnte die Lügen und Finten der Nationalsozialisten schonungslos klarstellen.
Rund 60 Texte aus der Feder Tucholskys sind in dem Künstlerbuch eingebettet in die Hintergrundgeschichte über den jungen Drucker Wilhelm Klemper. Die Geschichte ist in Form eines Schreibmaschinenmanuskriptes, recherchiert von Karl Kauz, Teil des Künstlerbuches. Es wird damit auch Tucholskys Spiel mit Pseudonymen aufgegriffen. Diese Geschichte ist fiktiv. Die Ausbürgerung des Autors im August 1933 ist eine Tatsache. Gestellt wird die Frage: „Könnte es so gewesen sein?“. Ein junger Drucker sammelt Makulaturbogen mit interessanten Texten. In den Händen der Partei wird die Sammlung zum Beweisstück für politische Verfolgung.
Im Juni kommt die Grafix-Andruckpresse ins Atelier – auf einem Tieflader, der normalerweise Bagger transportiert. Er lässt sie aussehen, als wäre sie ein Spielzeug. Sie wird zum Herzstück des Ateliers werden. Mit ihr können die kleineren Schriftgrade problemlos gedruckt werden: sie hat ein elektrisch betriebenes Farbwerk und ein verstellbares Fundament. Und nun können endlich auch die vielen kleinen Schriftgrade für Druckprojekte genutzt werden.
Auf Vermittlung von Kollegen kommt eine spezielle Schrift ins Atelier. Es ist eine Privatschrift mit dem Namen Titula, entworfen von Alfred Finsterer, gegossen bei Klingspor. Die Schrift wurde nie für den Markt produziert. Es wurde ein Atelier gesucht, das die Schrift übernehmen und damit für die Zukunft sichern kann. Abgeholt wird sie mit dem in diesen Aufgaben äußerst erfahrenen Ford Transit. Er hat schon jede Menge Bleischriften, Setzregale, einen Stapelschneider und andere Schwergewichte transportiert. Es geht um ein einzelnes Setzregal mit Schrift drin – klingt unproblematisch. Während des Einladens ist da plötzlich die Frage „Wollen Sie das nicht auch mitnehmen?“
Es ist Blindmaterial – eingefüllt in Dutzende von Bismarckhering-Gläsern – und jede Menge Stehsatz. So braucht der Dicke Unterstützung durch einen schlichten Kombi: der Stehsatz liegt auf Pappstücken. Zusätzlich zum Kombi werden auch alle verfügbaren Setzschiffe aus dem Atelier gebraucht. Am Ende ist die Versalschrift Titula vollständig Teil des Schriftenbestandes. Jetzt muss nur noch der Stehsatz abgelegt werden.
Zusammen mit seinem Assistenten verwandelt Sven Löffler das Druckatelier für einen Tag in das Set einer Filmproduktion. Er produziert sein Filmprojekt „Die Schwarze Kunst“, im Atelier bleiklötzle als Abschlussarbeit seiner Ausbildung zum Mediengestalter, und bringt damit einen Hauch von Hollywood in Wäschenbeuren.
Die Schuldruckerei der Waldorfschule in Winterbach wird aufgelöst und die Schriften müssen untergebracht werden. So kann der Bestand an Optima ergänzt werden. Und über einen ehemaliger Mitarbeiter der Schriftgießerei Weber kommen bis 2012 eine Reihe der von Georg Trump gestalteten Schriften ins Atelier.
Es sind nahezu druckfrische Lettern von unter anderem Jaguar, Time Script und Schadow, aus den Archivbeständen der Schriftgießerei. Neben den Schriften dürfen auch ein Setzregal und ein hölzerner Planschrank zu mir umziehen. Letzterer war schon für den Sperrmüll gebucht, brachte aber noch einige der Schriftmusterplakate der Gießerei mit.

In Göppingen trennt sich eine Druckerei von ihrem noch lange gehaltenen Bestand an Schriften und Buchdruckausstattung. Eigentlich ist dafür gar kein Platz mehr, aber überraschenderweise lässt sich durch umräumen auch dieses Mal noch Neues unterbringen. Ich kann ein sehr altes Regal übernehmen, auf dem noch ein Frachtetikett von 1928 klebt.

Dieses bewährte Gehäuse wird mit zwei freundlichen Verbundschriften geliefert, die eine heißt Goethe-Antiqua, die andere Schiller-Fraktur. Manche Setzer hatten eben auch einen Sinn für Humor.

Hier werden leider, noch bevor ich zum Abholen kommen kann, einige Kästen gekippt und ich muss einen Teil der Schrift in einer Zinkwanne mitnehmen und später sortieren.
Was sonst noch geschah:
Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse – es ist das erste Jahr, in dem es den von Heinz-Stefan und Wiebke Bartkowiak über lange Zeit organisierten „Platz der Buchkunst“ auf der Messe nicht mehr gibt.
Beteiligung am internationalen Projekt „Libro della Notte“, Venedig
Teilnahme an der Druck&Buch in Erlangen
Teilnahme an der Künstlerbuchmesse im Wasserschloss Klaffenbach bei Chemnitz
Die Marke „Manufaktur Papiergebunden“ wird geboren, die Domain „www.papiergebunde.de“ geht online
Im Jahr 2010 werden publiziert:
„Horizonte“ Linolätzung
„Portrait of a Friend“ Linolätzung, Hommage an Harald Goldhahn, der Ende 2009 überraschend verstorben ist.
„Rucola – wer hat das gefunden?“ Künstlerbuch mit 21 Linolschnitten, klebstoffreie Bindung
„Mir fehlt ein Wort“ Künstlerbuch mit rund 60 Texten von Kurt Tucholsky, preußische Archivheftung
Kontakt
Für Druck&Buch in Erlangen prallel zum Poetenfest: Johannes Häfner
Wird fortgesetzt – nächste Folge am 5. Mai 2024