Das Atelier im Jahr 2001

In dem Zeitraum von 2001 bis 2003 werden wir auf den Monotype-Anlagen von Heiner Busers Buchdruckerei Greno drei Schriften gießen. Wir fangen mit der 10 p Baskerville an. Das Selbst-Gießen gibt uns die Möglichkeit, eine größere Menge Schrift auf Vorrat zu haben – für längere Texte, also für Bücher. Der Gießzettel gibt vor, in welchen Mengen die einzelnen Buchstaben, Ziffern und Zeichen für eine bestimmte Sprache gegossen werden sollen, um vernünftig Texte in dieser Sprache setzen zu können. Wir weichen davon dezent ab aus zwei Gründen. Heiner gibt zu bedenken, dass wir eine größere Anzahl der Ziffern Null und Zwei brauchen werden, nachdem wir vom 20. ins 21. Jahrhundert gewechselt haben. Und: wir wollen auch englische Texte setzen – also müssen die Mengen hier angepasst werden, bei den Kleinbuchstaben vor allem y, h, t und o.

Die Buchdruckerei Greno in Nördlingen ist in einem umgebauten Stall untergebracht.

Die Baskerville ist denn auch die Schrift, die beim ersten Künstlerbuch Verwendung findet. Das ist sportlich, denn der Schriftgrad von 10 p ist klein, dafür dass die Druckform immer noch mit der Handwalze eingefärbt werden muss. Der Text ist eine Gute-Nacht-Geschichte. Ich hatte sie 1986 für meine Patentochter geschrieben, nach einem ausgesprochen beeindruckenden Hagelschauer im Norden von schwedisch Lappland. Während einer vegetationskundlichen Exkursion im Rahmen des Studiums waren wir damals alle bis auf die Haut nass geworden. Am nächsten Morgen stiegen wir in unsere immer noch nassen, steifen und kalten Klamotten – sie sind dann unterwegs durch die Körperwärme beim Gehen allmählich getrocknet.

„Der kleine Niak“: einfärben mit der Handwalze

Der Titel der Geschichte „Der kleine Niak“ bezieht sich auf den knapp 2.000 Meter hohen Nijak, den Berg im Sarek-Nationalpark, an dessen Fuß wir in den Hagel geraten waren. Der „kleine Niak“ betreibt im Innern des Berges seine Wetterküche, in der er das Wetter zubereitet, was nicht immer nach Plan läuft.

Künstlerbuch „Der kleine Niak“

Illustriert ist das Buch mit fünf Holzschnitten. Als Vorsatz sind Buntpapiere in Rolf-Steffens-Manier gefertigt – jeweils passend zu den Einbandvarianten. Und für die Einbände sind gemusterte Stoffe verwendet, für die Exemplare der Vorzugsausgabe afrikanische Handbatikstoffe. Das Erstlingswerk wird rechtzeitig fertig zur 16. Minipressenmesse in Mainz.

AEine Buchbinderwerkstatt wird altershalber aufgelöst. Ein Setzregal übernehmen wir und einen ganz alten Drehhocker. Das Atelier bekommt so einen besonderen Schnitt seiner Lieblingsgrotesk: die schmalmagere Futura. Und mein Mann holt sich bei dem Einsatz seinen Bandscheibenvorfall.

„Sturmeswüten“ Gedicht von Heinrich Heine, mit Untermalung

Das Mappenwerk „Lushin“ ist ein erstes Projekt, Formensprache und Idee des Kubismus originalgraphisch umzusetzen. Keine einfache Aufgabe, denn der Kubismus, wie wir ihn von George Braque und Pablo Picasso kennen ist aus der Malerei entwickelt, und kann so nicht einfach in den klassischen Holzschnitt übernommen werden. Vladimir Nabokov erzählt in seinem Roman „Lushin“ die Geschichte eines Schachtalents, das allmählich den Verstand verliert. Parallel werden sowohl die Holzschnitte als auch die Typographie der Texte immer mehr ver-rückt. Die sechs Motive zeigen die verschiedenen Schachfiguren in Situationen aus dem Leben Lushins und separate Bogen kombinieren die entsprechenden Textpassagen dazu. Die losen Blätter liegen in einer Mappe aus Büttenpapier, die von einem schwarzen Satinband und einem Ring aus Schneeflockenobsidian verschlossen wird. Das Werk ist weitestgehend in Schwarz-weiß gehalten – wie ein Schachspiel.

Lushin, Farbholzschnitt von 2 Platten

Ein ganz anderes literarisches Thema wird originalgraphisch umgesetzt. Ein Werk von D. H. Lawrence hatte mich einst sehr fasziniert. Es war das letzte Buch, das er vor seinem Tode 1930 geschrieben hat und trägt den Titel „Apocalypse“. Er zeichnet darin seine Vision von der Freude am Leben in Tuchfühlung mit dem Kosmos. Entstanden ist ein filigraner Holzschnitt eines grünen Drachens, das ist der Drache als kosmische Kraft in seinem positiven Aspekt, der Lebendigkeit schenkt. D. H.. Lawrence schreibt über den grünen Drachen „when he stirs green on a pure dark night of stars it is he who makes the wonder of the night, it is the full rich coiling of his folds which makes the heavens sumptuously serene“. (in grüner Form in einer klaren dunklen Nacht ist er es, der die Nacht wunderbar macht, sein reiches Wallen und Fließen gibt den Himmel Ruhe in Üppigkeit“)

Folksong „The Fox“ ins Deutsche übertragen, Handsatz aus der Wallau, Farbholzschnitt von 3 Platten

Was sonst noch geschah:

Bei Caslon in London werden Ersatzteile für die ADANA bestellt.

Die Website des Ateliers geht online auf www.bleikloetzle.de

Erste Versuche mit Erdpigmenten

Teilnahme an der 16. Minipressenmesse in Mainz

Im Jahr 2001 werden publiziert:

„Der die Nacht wunderbar macht …“ Holzschnitt

„Gelbe Schöne“ Farbholzschnitt von 4 Platten

Elfter September“ Einblattdruck mit Farbholzschnitt von 2 Platten

„Der Fuchs“ Folksong mit Farbholzschnitt von 3 Platten

„Sturmeswüten“, Gedicht von Heinrich Heine, Holzschnitt, mit Untermalung

„Der Hund ist das wachsamste Thier“, Lichtenberg mit Farbholzschnitt von 2 Platten

Psalm 121 auf grauem Tintoretto-Papier, mit Holzschnitt

„Der kleine Niak“ Künstlerbuch mit Holzschnitten (vergriffen)

Lushin“ Mappe mit 6 Holzschnitten

Kontakt

Mainzer Minipressenmesse

Zum Lesen

Vladimir Nabokov „Lushins Verteidigung“, in Gesammelte Werke Band II – Frühe Romane 2, Rowohlt, 1992, Reinbek bei Hamburg

Georg Kandler: Alphabete – Erinnerungen an den Bleisatz, Band 2, 2001, Minner-Verlag, Kornwestheim.

D. H. Lawrence „Apocalypse“ Granada, 1981, London

 

 

Wird fortgesetzt – nächste Folge am 27. März 2024

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